G 1/24 – Auslegung von Ansprüchen

Am 18. Juni 2025 erließ die Große Beschwerdekammer (GBK) ihre Entscheidung über die Auslegung von Ansprüchen in EPA-Verfahren in der Sache G 1/24. Die GBK erhob Folgendes zum Leitsatz: „Die Beschreibung und etwaige Zeichnungen sind bei der Auslegung der Ansprüche immer heranzuziehen, nicht nur bei Unklarheit oder Mehrdeutigkeit.“ Die Auslegung der Ansprüche in Verfahren vor dem EPA beruht also auf denselben Grundsätzen wie die Auslegung im Verletzungsverfahren. Vor G 1/24 vertraten einige Beschwerdekammern den Standpunkt, dass die Beschreibung und die Zeichnungen nur dann für die Auslegung der Ansprüche heranzuziehen sind, wenn die Ansprüche unklar oder mehrdeutig sind.

Viele nützliche und wertvolle Ressourcen zu G 1/24 sind bereits online verfügbar, wie z. B:

Während der Leitsatz von G 1/24 bekräftigt, dass die Beschreibung für die Anspruchsauslegung in Verfahren vor dem EPA zu berücksichtigen ist, bedeutet dies nicht, dass Klarheitsmängel in den Ansprüchen einfach durch Bezugnahme auf die Beschreibung gelöst werden können. In Punkt 20 von G 1/24 wird hervorgehoben, „… wie wichtig es ist, dass die Prüfungsabteilung eine qualitativ hochwertige Prüfung durchführt, ob ein Anspruch die Klarheitserfordernisse des Artikels 84 EPÜ erfüllt. Die richtige Reaktion auf eine Unklarheit in einem Anspruch ist eine Anspruchsänderung.

Beschwerdeverfahren nach Beitritt

In Verfahren nach dem EPÜ ist die Frage, ob ein Beschwerdeverfahren nach Rücknahme der einzigen Beschwerde mit einem Beteiligten fortgesetzt werden kann, der erst im Stadium der Beschwerde beigetreten ist, seit langem geklärt. Die Große Beschwerdekammer (GBK) stellte in ihrer Entscheidung G 3/04 fest: „Nach Rücknahme der einzigen Beschwerde kann das Verfahren nicht mit einem Dritten fortgesetzt werden, der dem Beschwerdeverfahren beigetreten ist.“

In T 1286/23 legt die Kammer der Großen Beschwerdekammer diese Frage erneut vor. In Punkt 3.7 der Entscheidung heißt es: „Die vorlegende Kammer kann … nicht darin zustimmen, dass Artikel 105 EPÜ in Verbindung mit Artikel 107 EPÜ in dem Sinne gelesen werden muss, dass auch ein Dritter, der erst im Stadium der Beschwerde eintritt, nie mehr als ein nicht beschwerdeführender Einsprechender sein kann.“ Die vorlegende Kammer begründet diesen Standpunkt ausführlich inPunkten 3.7 ff. der Entscheidung.

Somit wird die Frage des Status einer Partei, die erst im Beschwerdeverfahren beigetreten ist, erneut geprüft werden.

EPA-Seminare

Kurz vor dem Jahresende wird das EPA mehrere interessante Seminare veranstalten, unter anderem:

Opposition Matters 2024: Laut EPA ist „Opposition Matters die wichtigste Veranstaltung des EPA für Patentfachleute um sich über die neuesten und relevantesten Entwicklungen in Einspruchsverfahren auf dem Laufenden zu halten.“

Litigation Matters 2024: Laut EPA widmet sich „Litigation Matters … den neuesten Entwicklungen im Hinblick auf Patentstreitigkeiten in Europa, mit besonderem Augenmerk auf die EPG-Streitigkeiten.“

Die Anmeldung ist bereits möglich. Diese Veranstaltungen sind eine gute Gelegenheit, sich über die neuesten Entwicklungen zu informieren. Beide Veranstaltungen sind kostenlos und werden von der EPA-Akademie organisiert.

Beschreibungsanpassung im EPA-Verfahren

Es ist selten, dass eine Entscheidung der Beschwerdekammer in den (beruflichen und/oder IP-bezogenen) sozialen Medien großes Interesse hervorruft. Anders war dies in der vergangenen Woche, als viele Patentanwälte mit Begeisterung über T 0056/21 vom 04. Oktober 2024 gepostet haben.

Datenblatt zu T 0056/21

Der Leitsatz dieser Entscheidung lautet:

„Bei der Prüfung einer Patentanmeldung bieten weder Artikel 84 noch die Regeln 42, 43 und 48 EPÜ eine Rechtsgrundlage für die Forderung, dass die Beschreibung so angepasst werden muss, dass sie den zulässigen Ansprüchen eines engeren Gegenstands entspricht.“

Einige haben angedeutet, dass T 0056/21 die Praxis des EPA in Bezug auf die Anpassung der Beschreibung erheblich verändern wird. Das bleibt abzuwarten.

Die Roche-Patentabteilung und der Anwalt, der T 0056/21 bearbeitet, verdienen Lob dafür, dass sie sich um eine Klärung dieser Frage bemüht haben. Dies gilt umso mehr, als die Anpassung der Beschreibung einigen Prüfern im Lichte der Qualitätsdiskussionen sehr am Herzen zu liegen scheint. Und Beschwerdekammer 3.3.04 ist für die Entscheidungsbegründung zu loben, die nicht nur umfassend ist, sondern sich auch daran orientiert, was die Verfasser des EPÜ im Hinblick auf Klarheit im Sinn hatten.

Wohl nicht jeder, der die verschiedenen Beiträge zu T 0056/21 liest, ist sich der Tatsache bewusst, dass dieselbe Beschwerdeführerin (Roche) diese Fragestellung bereits in einem früheren Erteilungsverfahren vor die Beschwerdekammer gebracht hat. Die frühere Beschwerde führte zur Entscheidung T 1989/18 vom 16. Dezember 2021. Die letztgenannte Entscheidung hat zwar keinen Leitsatz, aber die Argumentation in den Punkten 4-13 von T 1989/18 kommt zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie der Leitsatz von T 0056/21. T 1989/18 scheint – leider – nicht viel an der Praxis des EPA in Bezug auf die Anpassung der Beschreibung geändert zu haben. Es bleibt zu hoffen, dass Roche (oder andere Anmelder) sich weiterhin dafür engagieren, zur Klärung der Frage beizutragen, ob und in welchem Umfang eine Beschreibungsanpassung an geänderte Ansprüche erforderlich ist. Zumindest in den US-Verfahren scheinen alle Beteiligten sinnvoll mit einer Beschreibung arbeiten zu können, die nicht an Anspruchsänderungen während des Verfahrens angepasst werden muss.

Recherche am EPA

In der Folge vom 12. September 2024 des Podcasts „Talk Innovation“ des Europäischen Patentamts (EPA) geht es um die Qualität von Patenten. Ein Highlight ist ein neuer Schritt, den das EPA unternimmt, um die Qualität von Recherchenberichten zu verbessern. Ab November 2023 werden diese Berichte mit den Mitgliedern der zukünftigen Prüfungsabteilung und ihrem Teamleiter geteilt. Mit dieser Änderung soll sichergestellt werden, dass die Recherchenberichte so umfassend wie möglich sind. Das Ziel ist es, Situationen zu minimieren, in denen wichtiger Stand der Technik erst nach Jahren des Prüfungsverfahrens erstmalig eingeführt wird, auch wenn die Patentansprüche nicht signifikant geändert wurden.

In dieser Podcast-Folge werden auch weitere Bemühungen zur Verbesserung der Verfahrenskonsistenz erörtert. So arbeitet das EPAs beispielsweise daran, den Prüfern dabei zu helfen, ihre Praktiken in Bezug auf die Anzahl der Prüfungsbescheiden, die vor einer Ladung zur Verhandlung ergehen, einfacher mit der Amtspraxis vergleichen zu können. Diese Maßnahmen sollen die Qualität und Effizienz des Patentprüfungsverfahrens insgesamt verbessern.

Zusammenfassungen von Entscheidungen der EPA-Beschwerdekammern

Das EPA hat damit begonnen, monatliche Zusammenfassungen von Entscheidungen der Beschwerdekammern zu veröffentlichen. Die Zusammenfassungen sind über die Website der EPA-Beschwerdekammer zugänglich. Dies ist eine großartige Informationsquelle für alle, die regelmäßig über die neue Rechtsprechung informiert werden möchten, wobei die Zusammenfassungen vom Juristischen Forschungsdienst der Beschwerdekammern herausgegeben werden.

Anspruchsauslegung in EPA-Verfahren

Die Rechtsprechung der Beschwerdekammern zur Anspruchsauslegung ist seit einigen Jahren uneinheitlich: Einige Kammern haben den Standpunkt vertreten, dass die Ansprüche bei der Beurteilung der Patentierbarkeit grundsätzlich im Lichte der Beschreibung und der Zeichnungen auszulegen sind. Andere Kammern haben hingegen den Standpunkt vertreten, dass in Verfahren vor dem EPA-Verfahren die Beschreibung und die Zeichnungen nur in bestimmten Fällen für die Anspruchsauslegung zu berücksichtigen sind, nämlich wenn der Anspruchswortlaut unklar oder mehrdeutig ist.

Die aktuelle Beschwerdekammerentscheidung T 0439/22 hat diese Angelegenheit der Großen Beschwerdekammer vorgelegt. Die Vorlagefragen lauten wie folgt:

1. Ist Artikel 69 (1), 2.Satz EPÜ und Artikel 1 des Protokolls über die Auslegung von Artikel 69 EPÜ bei der Auslegung von Patentansprüchen anzuwenden, wenn die Patentierbarkeit einer Erfindung gemäß Artikel 52 bis 57 EPÜ beurteilt wird?

2. Dürfen die Beschreibung und die Figuren bei der Auslegung der Ansprüche herangezogen werden, um die Patentierbarkeit zu beurteilen, und wenn ja, darf dies generell geschehen oder nur dann, wenn der Fachmann einen Anspruch für unklar oder mehrdeutig hält, wenn er ihn isoliert liest?

3. Kann eine Definition oder eine ähnliche Information zu einem in den Ansprüchen verwendeten Begriff, die ausdrücklich in der Beschreibung enthalten ist, bei der Auslegung der Ansprüche zur Beurteilung der Patentierbarkeit außer Acht gelassen werden, und wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Diese Fragen betreffen auch viele anhängige Verfahren.

Der Präsident des EPA hat entschieden, dass die Verfahren vor den Prüfungs- und Einspruchsabteilungen fortgesetzt werden sollen(Mitteilung des Europäischen Patentamts vom 1. Juli 2024). Dies soll im Interesse des reibungslosen Funktionierens des EPA und der Rechtssicherheit geschehen.

IP zur Sicherung von Finanzierung

Die EPA-Veranstaltung „Bringing cleantech innovation to market“, deren Aufzeichnung das EPA in Kürze zur Verfügung stellen wird, befasst sich unter anderem mit der neuen Wirtschaftsstudie des EPA, die die Herausforderungen beleuchtet, mit denen sich Unternehmen konfrontiert sehen, die saubere Technologien auf den Markt bringen wollen. Die Studie wurde vom Europäischen Patentamt (EPA) gemeinsam mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) erstellt.

Eine wichtige Erkenntnis für mich war, dass die Studie erneut bestätigt, wie wichtig es für (junge) Unternehmen ist, über geistiges Eigentum zu verfügen, um sich Finanzierung (auch, aber nicht nur, von VC) zu sichern.

Nehmen Sie gerne Kontakt auf, wenn Sie gerade dabei sind, Ihr eigenes Unternehmen zu gründen oder dies bereits getan haben und mehr über die verschiedenen Rechte des geistigen Eigentums sowie über bestehende Initiativen zur finanziellen Unterstützung von Unternehmen bei der Erlangung von geistigem Eigentum erfahren möchten.

EPA Beschleunigung von Einspruchsverfahren

Das EPA wird das Einspruchsverfahren beschleunigen, wenn eine Verletzungs- oder Nichtigkeitsklage vor dem EPG anhängig gemacht wurde. Siehe die EPA News vom 22.02.2024 und EPA ABl. 2023, A99. Das EPA ist der Ansicht, dass „ein schneller Abschluss des parallelen Einspruchsverfahrens vor dem EPA Rechtssicherheit und Verfahrensökonomie sowie eine hohe Qualität und Einheitlichkeit des europäischen Patentsystems fördert.“

Ich bin gespannt, ob dadurch abweichende Ansichten zwischen dem EPA und dem EPG in parallelen Einspruchs-/Widerrufsverfahren in Zukunft tatsächlich vermieden werden können.